Bilanz nach fünf Jahren: Was hat der gesetzliche Mindestlohn gebracht?

Seit dem 1. Januar 2015 gilt in Deutschland ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn. Welche Beschäftigungseffekte lassen sich nach fünf Jahren feststellen? Hat der Mindestlohn Arbeitsplätze gekostet, und wie viel Arbeitsvolumen ist durch den Mindestlohn verdrängt worden? Welche Anpassungskanäl...

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Published inIfo schnelldienst Vol. 73; no. 4; pp. 03 - 28
Main Authors Knabe, Andreas, Schöb, Ronnie, Thum, Marcel, Bruttel, Oliver, Börschlein, Benjamin, Mario, Bossler, Pakleppa, Felix, Bonin, Holger, Pestel, Nico, Fedorets, Alexandra, Caliendo, Marco
Format Journal Article
LanguageGerman
Published München ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München 15.04.2020
Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo)
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Summary:Seit dem 1. Januar 2015 gilt in Deutschland ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn. Welche Beschäftigungseffekte lassen sich nach fünf Jahren feststellen? Hat der Mindestlohn Arbeitsplätze gekostet, und wie viel Arbeitsvolumen ist durch den Mindestlohn verdrängt worden? Welche Anpassungskanäle wurden von den Unternehmen genutzt, um Entlassungen zu vermeiden? Konnte die Zahl der Transferempfänger und das Armutsrisiko reduziert werden? Wird die Coronakrise zum Stresstest für den Mindestlohn? Unsere Autoren diskutieren über Antworten auf diese Fragen. Andreas Knabe, Universität Magdeburg, Ronnie Schöb, Freie Universität Berlin, und Marcel Thum, ifo Institut und TU Dresden, zeigen, dass ein großer Teil der bisher vorliegenden Evaluationsstudien zu den Wirkungen des Mindestlohns negative Beschäftigungseffekte finden, wobei diese primär bei den geringfügig Beschäftigten auftreten. Füge man diese Ergebnisse, die auf ein durch den Mindestlohn leicht gebremstes Jobwachstum hindeuten, mit den Erkenntnissen über die Reduzierungen der Arbeitsstunden zusammen und rechnet den Verlust an Arbeitsvolumen in Arbeitsplätze um, ergeben sich Beschäftigungsverluste im mittleren sechsstelligen Bereich. Nach Ansicht von Oliver Bruttel, Mindestlohnkommission, hat die Einführung des Mindestlohns kaum negative Beschäftigungseffekte. Den Betrieben steht aber eine Vielzahl an Anpassungskanälen, wie z.B. Veränderung der Arbeitszeit, der Preise oder der Produktivität, zur Verfügung, durch die sie die gestiegenen Lohnkosten ausgleichen können. Benjamin Börschlein und Mario Bossler Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg, sehen ebenfalls nur sehr geringe negative Beschäftigungseffekte durch den Mindestlohn. Die Einführung des Mindestlohns konnte aber auch das Armutsrisiko nicht vermindert. Allerdings habe er zur Verringerung der Ungleichheit beigetragen und sollte als politisches Instrument verwendet werden, um diskriminierend niedrige Löhne zu verhindern. Nach Ansicht von Felix Pakleppa, Zentralverband Deutsches Baugewerbe, hat der gesetzliche Mindestlohn die Erwartungen nicht erfüllt. Es gebe kaum ein Gesetz, das für das Baugewerbe so überflüssig sei wie das Mindestlohngesetz, denn der Bau-Mindestlohn liege weit über dem Niveau des gesetzlichen Mindestlohns. Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns habe für die Unternehmen des Baugewerbes erst einmal mehr Bürokratie verursacht. Holger Bonin und Nico Pestel, Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA), Bonn, sehen nach wie vor Beschäftigungsrisiken durch den Mindestlohn. Die Arbeitgeber hätten zwar auf die Mindestlohneinführung kaum mit vermehrten Entlassungen reagiert, zeigten allerdings in der Tendenz mehr Zurückhaltung bei Neueinstellungen. Auch könnten sich negative Beschäftigungseffekte des Mindestlohns noch nicht voll ausgeprägt haben, da die Einführung mitten in eine lang anhaltende Boomphase der deutschen Wirtschaft fiel. Die Corona-Rezession werde zum Stresstest für den Mindestlohn. Mit Blick auf die Gewährleistung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschlands schlagen die Autoren eine regionale Differenzierung bei der Weiterentwicklung des Mindestlohns vor. Alexandra Fedorets, DIW Berlin, sieht die Einführung des Mindestlohns insgesamt positiv. Sie habe Potenzial für die langfristige Verwirklichung einer "High-Road"-Strategie – mit höherer Produktivität, höherer Bezahlung, höheren Preisen und einer höheren Qualität von Waren und Dienstleistungen. Dies setze allerdings auch eine entsprechende Weiterqualifizierung von Arbeitskräften voraus. Marco Caliendo, Universität Potsdam, zeigt, dass mit der Einführung des Mindestlohns einiges erreicht, aber wesentliche Ziele verfehlt wurden. Die Löhne im unteren Bereich seien zwar gestiegen, ohne dass es zu einem größeren Abbau an Beschäftigung gekommen sei. Gleichzeitig sei der Mindestlohn in vielerlei Hinsicht nicht existenzsichernd und werde nicht vollumfänglich durchgesetzt. Für die Politik bestehe weiterhin Handlungsbedarf.
ISSN:0018-974X