Bilanz der ersten 100 Tage der Ampel-Koalition: Ist der Neustart gelungen?

Nach Ansicht von Jens Boysen-Hogrefe, Kiel Institut für Weltwirtschaft, bringt die neue Ampel-Koalition eine deutlich expansivere Finanzpolitik als in ihren Planungen vor der Wahl vorgesehen auf den Weg. Zugleich berücksichtige sie die anstehenden Herausforderungen des demografischen Wandels nicht,...

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Published inIfo schnelldienst Vol. 75; no. 4; pp. 03 - 32
Main Authors Boysen-Hogrefe, Jens, Ludwig, Alexander, Schmitz-Kießler, Jutta, Blömer, Maximilian Joseph, Consiglio, Valentina, Gerlach, Irene, Fischedick, Manfred, Thomas, Stefan, Müller-Lietzkow, Jörg, Knie, Andreas
Format Journal Article
LanguageGerman
Published München ifo Institut - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München 2022
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Abstract Nach Ansicht von Jens Boysen-Hogrefe, Kiel Institut für Weltwirtschaft, bringt die neue Ampel-Koalition eine deutlich expansivere Finanzpolitik als in ihren Planungen vor der Wahl vorgesehen auf den Weg. Zugleich berücksichtige sie die anstehenden Herausforderungen des demografischen Wandels nicht, so dass zukünftige Verteilungskonflikte bereits jetzt im Koalitionsvertrag angelegt seien. Trotzdem könnten Sondervermögen sinnvoll sein, wenn es um die Finanzierung plötzlich auftretender, dringender Mehrbedarfe gehe. Alexander Ludwig, Goethe-Universität Frankfurt am Main, beantwortet die Frage nach einem gelungenen Start mit einem „teils, teils“. Der Schock des Ukraine-Kriegs sitze tief, aber darüber dürften die langfristigen Aufgaben, gerade in der Sozialpolitik und bei der Altersvorsorge, nicht vernachlässigt werden. Deren Bewältigung sei aber leider bereits im Koalitionsvertrag falsch angelegt. Jutta Schmitz-Kießler, Universität Duisburg-Essen, rechnet aufgrund der andauernden Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs nicht mit starken sozialen oder sozialdemokratischen Akzenten in der Politik der Ampel-Koalition. Es überrasche wenig, dass die im Koalitionsvertrag skizzierten sozialpolitischen Großprojekte wie Rentenreform, Kindergrundsicherung oder Bürgergeld in der aktuellen politischen Diskussion kaum noch vorkommen, sondern eher ein krisenbedingter sozialpolitischer Stillstand eingesetzt habe. Maximilian Blömer, ifo Institut, und Valentina Consiglio, Universität Konstanz, zeigen, dass von den von der Ampel-Regierung geplanten Reformen im Bereich der Mini- und Midijobs sowie ausgewählter steuerlicher Entlastungen positive Arbeitsangebotseffekte, vor allem in der generellen Arbeitsmarktpartizipation, zu erwarten sind. Die Effekte bezüglich der Veränderungen der Arbeitszeit sind aber lediglich für Männer positiv. Für Frauen ist durch die Ausweitung der Minijob-Verdienstgrenze und der Midijob-Gleitzone mit einer Reduktion des Arbeitsangebots um 22 000 Vollzeitäquivalente zu rechnen. Minijobs und Teilzeitbeschäftigung werden durch die Reform insbesondere für Frauen noch attraktiver. Dies bedeutet, dass die Teilzeitfalle durch die von der Ampel-Koalition vorgesehenen Reformen nicht begrenzt werden kann. Irene Gerlach, Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik, sieht die familienpolitischen Planungen der Ampel-Koalition als konsequente Weiterentwicklung der Familienpolitik der letzten Legislaturperioden. Ein besonderer Schwerpunkt der familienpolitischen Vorhaben sei die Einführung der Kindergrundsicherung. Ein besserer Weg zur Bekämpfung von Kinderarmut sei aber – statt erhöhter Geldleistungen für die Kinder – eine auf Familien ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik und eine gute, überall verfügbare Frühbetreuung. Manfred Fischedick und Stefan Thomas, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, sehen als Folge des Kriegs in der Ukraine sowohl Hindernisse als auch Chancen für den Klimaschutz. Sicher scheine, dass es kurzfristig aufgrund des wegen der Versorgungssicherheit notwendigen Wechsels von Erdgas zu Kohle zu höheren CO2-Emissionen kommen werde. Andererseits schaffe das mit dem Krieg deutlich gewordene geopolitische Risiko eine zusätzliche Motivation für die Beschleunigung von Energiewende und Klimaschutzmaßnahmen. Jörg Müller-Lietzkow, HafenCity Universität Hamburg, hält es für sinnvoller, wenn sich die Bundesregierung auf weniger, hochwahrscheinlich umsetzbare Projekte konzentriert. Zudem bedürfe es auch im Rahmen der nationalen Digitalisierungsbemühungen einer besseren Abstimmung in Europa. Gerade im Zusammenhang mit dem vielleicht sicherheitspolitisch wichtigsten Zukunftsthema, der digitalen Souveränität Europas, gelte es, Initiativen voranzutreiben. Andreas Knie, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, ist der Ansicht, dass die Regierung die Chancen für eine Verkehrswende verpasst hat. Statt eines grundlegenden Umbaus des Verkehrssystems habe die Angst vor Experimenten und fehlende reformerische Gestaltungskraft den Umstieg im Mobilitätskonzept verhindert.
AbstractList Nach Ansicht von Jens Boysen-Hogrefe, Kiel Institut für Weltwirtschaft, bringt die neue Ampel-Koalition eine deutlich expansivere Finanzpolitik als in ihren Planungen vor der Wahl vorgesehen auf den Weg. Zugleich berücksichtige sie die anstehenden Herausforderungen des demografischen Wandels nicht, so dass zukünftige Verteilungskonflikte bereits jetzt im Koalitionsvertrag angelegt seien. Trotzdem könnten Sondervermögen sinnvoll sein, wenn es um die Finanzierung plötzlich auftretender, dringender Mehrbedarfe gehe. Alexander Ludwig, Goethe-Universität Frankfurt am Main, beantwortet die Frage nach einem gelungenen Start mit einem „teils, teils“. Der Schock des Ukraine-Kriegs sitze tief, aber darüber dürften die langfristigen Aufgaben, gerade in der Sozialpolitik und bei der Altersvorsorge, nicht vernachlässigt werden. Deren Bewältigung sei aber leider bereits im Koalitionsvertrag falsch angelegt. Jutta Schmitz-Kießler, Universität Duisburg-Essen, rechnet aufgrund der andauernden Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs nicht mit starken sozialen oder sozialdemokratischen Akzenten in der Politik der Ampel-Koalition. Es überrasche wenig, dass die im Koalitionsvertrag skizzierten sozialpolitischen Großprojekte wie Rentenreform, Kindergrundsicherung oder Bürgergeld in der aktuellen politischen Diskussion kaum noch vorkommen, sondern eher ein krisenbedingter sozialpolitischer Stillstand eingesetzt habe. Maximilian Blömer, ifo Institut, und Valentina Consiglio, Universität Konstanz, zeigen, dass von den von der Ampel-Regierung geplanten Reformen im Bereich der Mini- und Midijobs sowie ausgewählter steuerlicher Entlastungen positive Arbeitsangebotseffekte, vor allem in der generellen Arbeitsmarktpartizipation, zu erwarten sind. Die Effekte bezüglich der Veränderungen der Arbeitszeit sind aber lediglich für Männer positiv. Für Frauen ist durch die Ausweitung der Minijob-Verdienstgrenze und der Midijob-Gleitzone mit einer Reduktion des Arbeitsangebots um 22 000 Vollzeitäquivalente zu rechnen. Minijobs und Teilzeitbeschäftigung werden durch die Reform insbesondere für Frauen noch attraktiver. Dies bedeutet, dass die Teilzeitfalle durch die von der Ampel-Koalition vorgesehenen Reformen nicht begrenzt werden kann. Irene Gerlach, Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik, sieht die familienpolitischen Planungen der Ampel-Koalition als konsequente Weiterentwicklung der Familienpolitik der letzten Legislaturperioden. Ein besonderer Schwerpunkt der familienpolitischen Vorhaben sei die Einführung der Kindergrundsicherung. Ein besserer Weg zur Bekämpfung von Kinderarmut sei aber – statt erhöhter Geldleistungen für die Kinder – eine auf Familien ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik und eine gute, überall verfügbare Frühbetreuung. Manfred Fischedick und Stefan Thomas, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, sehen als Folge des Kriegs in der Ukraine sowohl Hindernisse als auch Chancen für den Klimaschutz. Sicher scheine, dass es kurzfristig aufgrund des wegen der Versorgungssicherheit notwendigen Wechsels von Erdgas zu Kohle zu höheren CO2-Emissionen kommen werde. Andererseits schaffe das mit dem Krieg deutlich gewordene geopolitische Risiko eine zusätzliche Motivation für die Beschleunigung von Energiewende und Klimaschutzmaßnahmen. Jörg Müller-Lietzkow, HafenCity Universität Hamburg, hält es für sinnvoller, wenn sich die Bundesregierung auf weniger, hochwahrscheinlich umsetzbare Projekte konzentriert. Zudem bedürfe es auch im Rahmen der nationalen Digitalisierungsbemühungen einer besseren Abstimmung in Europa. Gerade im Zusammenhang mit dem vielleicht sicherheitspolitisch wichtigsten Zukunftsthema, der digitalen Souveränität Europas, gelte es, Initiativen voranzutreiben. Andreas Knie, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, ist der Ansicht, dass die Regierung die Chancen für eine Verkehrswende verpasst hat. Statt eines grundlegenden Umbaus des Verkehrssystems habe die Angst vor Experimenten und fehlende reformerische Gestaltungskraft den Umstieg im Mobilitätskonzept verhindert.
Author Knie, Andreas
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